Jemand hat mal geschrieben:
Ich mag es einfach, Löcher zu buddeln
Alice Merton, No Roots, 2016 (Übersetzung vom SWR3)
und darin Dinge zu verstecken.
Wenn ich mal alt bin,
finde ich sie hoffentlich alle wieder.
Denn ich reise von einem Ort zum andern,
wie Nomaden in der Nacht.
Und die Erinnerungen reisen mit.
Immer wenn ich ein Haus baue,
warte ich nur darauf,
bis jemand kommt und es einreißt.
Dann verpacke ich alles in Kisten
und dann nichts wie weg,
auf zur nächsten Stadt!
Diesen Weg
bin ich hundertfach gegangen,
tausendfach.
So ist das, wenn man keine Wurzeln hat,
mein Zuhause war nie ein Ort auf festem Boden.
Wie komme ich denn jetzt 10 Jahre später auf dieses Lied, das zu seiner Zeit so oft im Radio gespielt wurde, dass ich es eigentlich schon kürzester Zeit nicht mehr hören mochte?
Na, wer ahnt es? Wer kennt mich gut genug oder weiß es sogar?
Richtig: Ich war beim Zahnarzt. Wurzelbehandlung oder offiziell Wurzelkanalbehandlung.
Triggerwarnung
Wenn Du an dieser Stelle schon Angst kriegst, solltest Du erst recht weiterlesen, damit Du Dich so richtig schön fertigmachen kannst.
– Dr. H. Lecter (Kiefer-Chirurg)

Man kommt zu einer Wurzelbehandlung, wenn man von einem Moment auf den anderen höllische Schmerzen in einem undefinierbaren Bereich der Mundhöhle kriegt.
Und ich rede von Schmerzen, die so sind, dass sie mit Nichts zu vergleichen sind, also die schlimmsten Schmerzen, die man so haben kann.
Ich versuche euch, liebe Leser, an die Schmerzgrenze zu führen, indem ich Vergleiche mit weitaus harmloseren Dinge heranziehe, deren Unbehagen ich schon selbst oder als Beobachter erleben durfte.
Zum Beispiel ein Lumbago oder im Volksmund Hexenschuß genannt. So ein harmloses Zwicken im Rücken, was einen auf die Statur des berühmten Glöckners von Notre-Dame zurückführt.
Das ist zugegebenermaßen schmerzhaft und lähmt einen ein wenig, reduziert quasi die Bewegungsfreiheit, aber was ist die einfache Konsequenz: Nichts tun.
Einfach nur mal faul rumliegen. Ok, es muss die richtige Position gefunden werden, aber schlussendlich ist es dann einfach nur eine Geduldsprobe.
Der Muskel wurde kurz erschrocken und hat sich aus Angst verkrampft, aber das gibt sich wieder.
Übrigens an alle, deren letzte Grammatikstunde schon etwas länger zurückliegt:
Es muss hier erschrocken heißen, weil es sich von dem intransitiven Verb „erschrecken“ oder „in Schreck geraten“ ableitet.
Wenn ich jemanden mit meinem Beitrag erschreckt habe, kommt das vom transitiven Verb „jemanden erschrecken“. Also nicht der Schreck, sondern die Beugung, also nicht die vom Lumbago, sondern vom Flexion.
Es geht um die grammatikalische Veränderung eines Verbs und nicht die dramatische Veränderung eines Nervs. Aber das war nur ein kurzer Einschub.
Manche Leidtragende klagen auch über die Heftigkeit von Nierenkoliken.
Die hatte ich auch schon.
Das Schlimmste daran war, dass ich viele Stunden in orthopädischen Praxen und Notaufnahmen verbracht habe, um einen vermeintlichen Lumbago zu behandeln, und dabei war es ein Nierenstein, der einfach nur raus wollte, was man ja verstehen kann, wenn man weiß, was ich im Alter von 20 Jahre flüssigkeitstechnisch zu mir genommen habe.
Dabei hätte ich einfach die ganze Zeit nur in meiner Stammkneipe sitzen müssen, 6 Weizenbier trinken sollen und das Ding hätte sich von selbst rausgespült. Wie albern und kostenintensiv waren meine chiropraktischen Behandlungen und Ultraschalluntersuchungen.
Apropos Ultraschalluntersuchung.
Hat irgendjemand von euch auf diesen Ultraschallbildern schon mal irgendwas erkannt? Also von selbst ohne Aufklärung durch den ausführenden Arzt?
Und wenn der Arzt erklärt hat, was er sieht: „Ja, hier kann man den faustgroßen Tumor gut erkennen?“, habt ihr dann gesehen, was er oder sie sah?
Nein.
Willkommen im Club der ungläubigen Patienten – wir geht es genauso.
Und weil ich ja gerne rede oder kommuniziere, wie es neuerdings, also seit 1975, heißt, frage ich natürlich nach und kriege dann meist den Satz: „Ja, das muss man sich ja 3-dimensional vorstellen, also wir sehen das hier jetzt quasi von hinten.“
Ende der Erläuterung. Zurück zu den Schmerzen.
Die letzte Bastion derer, die meinen Wurzelschmerz nicht an die Spitze der Schmerztabelle heben wollen, mögen nun mit der vermeintlich feministischen Allzweckwaffe ums Eck kommen: dem Geburtsschmerz.
Ich zitiere an dieser Stelle gerne eine Leserin meines Tagebuchs: „Wo zur Hölle ist denn da das Scheißproblem?“
Entschuldigt, liebe Kinder, Scheiße soll man nicht sagen und erst recht nicht schreiben und, wenn ihr das nicht wisst, solltet ihr entweder noch nicht lesen können oder euch das hier nicht vorlesen lassen…was stimmt denn nicht mit euch eigentlich?
Zurück zum Geburtsschmerz.
Ist er wirklich so schlimm, wie uns die Frauen glauben lassen mögen? Wie sie uns seit Generationen in Wort, Bild und Schrift vormachen?
Natürlich nicht, liebe Kinder…ähm…Leser (und Leserinnen, die noch nicht geboren1 haben).
Es mag die holde Weiblichkeit sicherlich am Nerv reizen, über viele Monate stetig dicker und runder zu werden und am Ende dieser Entwicklungsstufe auf die Qualität weniger dafür mehr auf die Quantität der Nachrungsaufnahme Wert zu legen, aber was soll ich sagen?
Ich habe das jetzt seit über 40 Jahren mitgemacht und mich nie beschwert. Ich lag nie oder nur sehr selten komatös rum, weil mir alles zu schwer wurde. Das kostet natürlich Kraft und Energie, eine solche Plauze vor sich herzutragen, aber früher – und früher war ja bekannternmaßen alles… ach vergesst es – galt es als Zeichen des Wohlstands, gut gemästet zu sein.
Statt ihrer augenblicklichen Situation Dankbarkeit zu verleihen, schreien die Gebärenden herum, liegen in Wassercontainern, auf Gel-Betten, über Gummibällen oder in Slinger ähnlichen Seilkonstrukten und manche von ihnen bewerfen die beiwohnenden Ehemänner noch mit wüstesten Beschimpfungen und Beleidigungen.
Dass die dann auch noch Monate später ungern Beischlafen ist aus meiner Sicht nur eine logische Konsequenz. Wer weiß, ob man da wieder aufwacht?
Nein, keiner dieser Schmerzen ist mit dem zu vergleichen, den ich erst vor wenigen Wochen zum x-ten Mal erleben durfte. (x ist hier durch eine beliebige Zahl von 1 bis 32 aufzufüllen – mehr Zähne hat man nicht).
Und was passiert nun bei einer Wurzelkanalbehandlung?
Der Zahnarzt bohrt den betroffenen Zahn (in meinem Fall 1/5 und 3/5) auf und nutzt die Exstirpationsnadeln unterschiedlicher Größe und Länge, um den Wurzelkanal vom Nervengewebe zu befreien, soweit meine amateurhafte Zusammenfassung dessen, was ich verstanden habe.
Das Schöne an dieser Behandlung ist – wie bei fast allen Behandlungen beim Zahnarzt – das Ende.
Nein, wirklich prickelnd ist der Moment, wenn die Exstirpationsnadel am Ende angekommen ist, wo man eventuell noch ein Fünkchen funktionierenden Nerv erwischt. Das fühlt sich dann für einen Moment so an, als würde einem jemand ein Messer in den Kopf rammen.
Es blutet allerdings weniger.
Lustig ist auch, wenn der Doc meint: „Moment, bitte auflassen. Wir gehen mal so zum Röntgen.“
Dann kann er anhand der in dem Wurzelkanal steckenden Nadel auf dem Röntgenbild ziemlich genau den Wurzelkanal sehen. Manche Wurzelkanäle – insbesondere von Schneidezähnen sind ziemlich gerade.
Andere – meist bei Backenzähnen – sehe aus wie vertrocknete Blumenstengel und rollen sich fast wieder in sich zusammen.
Bei derartigen Wurzelkanälen hilft dann eine mehrmalige Wurzelkanalbehandlung meist nicht, sondern endet dann in einer Wurzelspitzenresektion.
Die wiederum führt der Zahnarzt nicht mehr durch. Es sei denn er ist zugleich Mund-Kiefer-Gesichtschirurg.
Bei der Wurzelspitzenresektion wird zu beiden Seiten das Zahnfleisch aufgeschnitten und mit einem Bohrhammer die Wurzelkanäle abgeschlagen. Was sich sehr brachial anhört, ist im Mikrokosmos wirklich so.
Anschließend wird der entwurzelte Zahn „zugegipst“ und verbleibt, wie übrigens alle seine Nachbarn, bis er raus fällt. Der Wurzelspitzen resizierte Zahn gewinnt natürlich NICHT an Stabilität, weshalb deutsche Zahnärzte alles versuchen, dies zu vermeiden.
Nebenbei bringt es auch ein wenig Geld in die Arztpraxis, aber das sei den Damen und Herren in Weiß vergönnt.
Ich hoffe, ich habe niemanden davon abgehalten, zum Zahnarzt zu gehen. Die Alternative ist noch schlimmer. Dann lieber ein Kind gebären, obwohl die Folgekosten…ach egal
Mein Spruch des Tages:

Wer nicht oft die Zähne putzt,
dem auch der Zahnarzt nicht viel nutzt.
Zwar hilft er meist und jederzeit,
doch ist das Karies mal so weit,
dann ist die Medizin am Ende
und Kukident ich dann verwende.
Drum Kinderchen, seid nicht dumm!
Dreht die Bürste nochmals um
denn eure Zähne sind gesetzlich
nicht unentgeltlich unersetzlich
– Molière
- Die Indikativ Perfekt Form von gebären ist hier geboren. Haben ist das Hilfsverb, weil es aktiv ist, obwohl meine Frau bei der Geburt gar nicht so aktiv war…ehrlicherweise ↩︎
