Morbide Stimmung.
Eigentlich ein wunderschöner Tag, dieser Frühlingsanfang.
Verhältnismässig angenehme Temperaturen, sehr sonnig hier in Bremen.
Also zumindest hier in Oberneuland. Ich weiß nicht, wie sonnig es in Walle oder Gröpelingen war, also ich vermute genauso sonnig, aber sicher bin ich nicht.
Vor ein paar Monaten hätte ich mich ins Auto gesetzt und wäre hingefahren, um sicher zu gehen, dass es dort auch so sonnig wie bei uns ist, also vorausgesetzt es hätte mich interessiert.
Aber heute interessiert es mich nicht.
Also eigentlich interessiert es mich schon, aber ich habe mir ja selbst Quarantäne auferlegt.
Ja, ich bin ein selbstständig denkender, aufgeklärter, intellektueller, eigenverantwortlicher Mensch und deshalb gehe ich an solch einem schönen Tag nicht aus dem Haus…
Ja, ihr denkt jetzt, das hat mit dem Virus zu tun, aber klar doch – der hat Ansteckungsangst…Feigling, komm raus, nimm an unserem sozialen Leben teil, geniere Dich nicht oder distanziere Dich nicht…
Nein, nein, damit hat es nix zu tun.
Wir haben einen Garten. Nein, wir haben einen Stadtwald.
So ein Stück Grün, wo Du nicht einfach die Blätter einsammelst und dann – wie halb Oberneuland – mit der Schubkarre gleich am Samstag morgen zur Mülldeponie schiebst.
Nein, in unserem Garten ist Laub wegmachen ein saisonaler Bestandteil unseres Lebens.
Inzwischen haben wir es ganz gut im Griff.
Im ersten Jahr dachten wir noch, warten wir, bevor unsere geliebte Buche alle Blätter verloren hat. Dann brauchen wir nur einmal pusten…
Hahaha…einmal pusten. Die Buche hat uns was gepustet.
Wirklich ein schöner Baum. Ich habe ihn Henning Scherf getauft.
Großen Bäumen gibt man ja große Namen und unsere Buche, die steht da so im Garten rum und man würde sie umarmen, wenn sie nicht so groß wäre und wenn man sie eine Weile angeguckt hat, denkt man, ja schön und nun…?! Ja, lass mal stehen. Nö, umhauen ist nicht. Denkmalschutz oder so ähnlich.
Ja, und so kam ich auf den Namen.
Als wir eingezogen sind, kamen die Baumflüsterer, also die Männer vom Amt und wollten bei uns im Garten Bäume zählen.
Ich dachte erst, das wäre so ein Oberneulander Einweihungsscherz, und es würde gleich die ganze Straße hinterherkommen und uns kennenlernen wollen. Also, da habe ich mich gründlich getäuscht.
Hier war noch keiner….so richtig freiwillig.
Naja, es gab hier schon Einbrecher, aber die trieb die Sorge um zu wenig Stoff. Ich glaube, das kann man nicht zählen.
Jedenfalls habe ich den Baumflüsterern gleich klar gemacht, dass sie die Buche nicht mitzählen brauchen. Die haue ich wohl weg…hihi, wollte nur ein kleines Scherzchen machen, da brüllt der seinen Kollegen an:
„HEINZ, hol die Verordnung!!!“
Und Heinz stapft auf mich zu und drückt mir die Bremer Baumschutzverordnung in die Hand.
Ab 1,20m Umfang bei Laubbäumen kein Fällen mehr möglich.
Ich konnte nicht umhin zu fragen, ab welcher Dicke denn das Fällen wieder möglich wäre, weil unser Baum hat ja schon 5m Umfang, aber das fanden die Herren nicht so lustig. Beamte halt.
Spaß ist einfach lt. §24 Abs. 2(1) „erst zwischen Feierabend und vor dem Zubettgehen erlaubt.“
Natürlich steht der Baum heute noch, also Henning.
Und aus Dankbarkeit schenkt er uns jedes Jahr einen weinroten Teppich aus Buchblättern, die allesamt dank des Bremers Sommers, also Dauerregen, verhindern, dass die Regenwürmer in unserem Rasen ertrinken.
Die Blätter fangen jeden einzelnen Tropfen mit Liebe auf und saugen sich damit voll. Das gibt ein schönes Bild…
Gut, unser blöder Bläser ist dann natürlich fertig.
Wir hatten schon „Profis“ hier, die meinten, naja, mit eurem Spielzeugbläser klar, aber wenn ich hier blase, bleibt kein Blatt liegen.
Herrlich, ihr Gesichter, wenn sie mit ihren phallischen Monstergeräten in unserem Garten standen und meine Frau anlächelten, nach dem Motto „Jetzt guck mal Süße, was ich hier für ein Riesenteil habe…“ und anschließend losratterten, als ob es kein Morgen gäbe und unser Buchblätterteppich hob sich respektvoll um 2cm, um sich anschließend trotz der ganzen Aufregung wieder schlafen zu legen.
Wir haben draus gelernt.
Man muss die Blätter schon wegblasen und ihnen den Kampf ansagen, wenn sie eigentlich noch gar nicht richtig am Boden liegen. Sobald so ein doofes Blatt denkt, „huch, was ist denn da unten für ein schönes Grün“, muss einer von uns bereits mit dem Handgebläse bereitstehen und das Blatt zu seinen Ahnen schicken…die liegen 10m weiter weg am Zaun – hinter den Bäumen.
So, sind im Laufe der Jahre, Henning Scherf und ich Freunde geworden.
Ich lasse ihm seinen Denkmalschutz und er mir seinen Laubbaumschmutz.
Aber es ist kein Fluch mehr…we have #FlattenTheCurse
Aber was wollte ich denn eigentlich berichten, da war doch nicht irgendwas…Mensch, ich habe es vergessen.
Das macht mich wirklich fertig. Ich kann die Erkältung ab und den Durchfall und natürlich habe ich Husten, wenn ich schon 25 Zigaretten am Tag rauche, aber dieser Gedächtnisschwund…das geht mir nahe.
Das RKI meldet 16.662 Infizierte und das sind 2.705 mehr als gestern.
Es gab insgesamt bis jetzt 46 Tote.
In Bremen sind es 142 Infizierte, also 21 mehr als gestern und damit ist die Wachstumsrate deutlich geringer als von vorgestern auf gestern.
Bevor jetzt aber alle denken, Social Distancing hat geklappt, der bedenkt, dass jetzt auch Wochende ist und dies vielleicht die Zahlen verschiebt.
Ich bleibe jedenfalls Zuhause und ihr bitte gesund.